D-Tour 2022 – Tag 28 – Telgte – Schermbeck

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Bericht – Sa, 11.06.2022

Der Campingplatz war super. Durch die Bäume konnte ich gestern Abend und heute morgen schön im Schatten das Zelt auf- und abbauen. Der einzige Nachteil war, dass die Bäume offensichtlich das Zelt mit einer leicht klebrigen Schicht versehen haben. Das war nicht so schön und ist heute das erste Mal auf der Tour passiert. Insekten gab es auch erfreulich wenig. Nur eine Mücke hat gestern zugestochen. Damit verdoppelt sich die Gesamtanzahl aller Mückenstiche auf der Tour auf zwei. Bei bisher 28 Tourtagen kann man damit wohl leben. Außerdem habe ich das Vieh erwischt und sofort [Werbung an] Soventol, eine Hydrocortison-Salbe, draufgetan, so dass es auch gar nicht mehr gejuckt hat. Hilft bei mir immer sehr gut. [Werbung aus :-D][Kommentar von Tina, ist klar, oder?]

Da ich gestern recht früh auf dem Campingplatz war, konnte ich auch etwas früher schlafen und somit auch früher aufstehen und packen, so dass ich immerhin schon gegen 9:30 Uhr losfahren konnte. Einen Campingplatz in gut 100 km Entfernung hatte ich ausnahmsweise gestern Abend schon klargemacht. Sonst hatte ich ja immer erst im Laufe des Tages genau geschaut, welchen Campingplatz ich erreichen könnte und meist erst nachmittags, seltener schon morgens angerufen.

Gestern habe ich insgesamt 5x die Ems überquert, heute dann 3x den Dortmund-Ems-Kanal, der sich hier durch die Gegend schlängelt. – Das Wasser im Kanal sah überraschend schön aus. Leicht grünlich. – Wie man sieht, kam auch immer wieder Schiffsverkehr.

Nördlich von Lüdinghausen kam ich an Burg Kakesbeck vorbei, welche von 800 n. Chr. stammen soll. Ok, es steht offensichtlich nicht mehr alles und vermutlich ist auch nicht alles ganz so alt, aber interessant, dass hier schon vor 1200 Jahren was stand.

Übrigens hat nicht nur Brandenburg schöne Alleen! Auch Westfalen kann da einiges beisteuern, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

Dann kam ich zu meinem persönlichen kleinen Highlight der heutigen Etappe. Da es sowieso fast auf der neu geplanten Route lag, habe ich einen kleinen Schlenker durch das Rosendorf Seppenrade gemacht. Aber nicht, weil mich Rosen besonders interessieren würden, sondern weil ich von Januar bis September 1993, also vor 29 Jahren, hier für 9 Monate als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr stationiert war. Die Station einer Fernmeldeinheit der Luftwaffe bestand im wesentlichen aus einem Funkturm und einem Gebäude mit Bunker im Keller, wo die kostbare Technik untergebracht war.

Uih, die Bäume sind mittlerweile so groß geworden, dass man das Stationsgebäude von der Straße aus kaum noch sieht. Das war damals anders. Da gab es freien Blick in alle Richtungen, was sicherheitstechnisch auch notwendig war, denn es handelte sich immerhin um eine militärische Einrichtung, und im Verteidigingsfall befürchtete man insbesondere Saboteure, die die Kommunikation lahmlegen wollen.

Der Standort wurde aber wohl um 2010 geschlossen und wird seit 2015 primär als Unterkunft für Flüchtlinge genutzt. Die Zäune um das ganze Areal stehen noch, aber das Tor war offen, so dass ich mich ein wenig umsehen konnte. Von den Bewohnern war zunächst nichts zu sehen, außer ein paar Fahrrädern vor der Tür und Kinderspielzeug auf dem Hof. Erst als ich schon wieder im Aufbruch war, kam eine Frau mit ihrem Kind raus. Ich weiß aber nicht, ob die mich überhaupt so richtig wahrgenommen hat.

Hier stand früher mal der Turm mit den Sende- und Empfangsantennen für die Richtfunkstrecke. Die Station Seppenrade war eine der Vermittlungsstationen im bundesweiten internen Kommunikationsnetz der Luftwaffe. Früher saßen unten im Bunker noch jede Menge Soldaten und haben Gespräche handvermittelt, aber 1993 war schon alles durch moderne digitale Vermittlungsanlagen (ich meine, von Alcatel) ersetzt, so dass für uns nur noch die Überwachung und ggf. Fehlerbehebung blieb. Dabei waren die Berufssoldaten entsprechend ausgebildet, um mit der moderenen Telekommunikationstechnik umzugehen. Wir Wehrpflichtige haben den Ablauf im Wesentlichen durch Fahrdienste unterstützt. Dazu haben wir in Münster einen drei-tägigen Lehrgang besucht, die sog. B-Umschulung, so dass wir dann mit unserem privaten PKW-Führerschein (damals noch Klasse 3 genannt) auch Bundeswehr-PKWs (damals schon Klasse B genannt, wie heute auch im zivilen Bereich) fahren durften. Unsere Station hatte dafür zwei(?) Bullys (VW-Busse). So sind wir also meist den Bully gefahren oder haben einen höherrangigen Kameraden bei der Überprüfung der Vermittlungsanlagen und der Wachbücher des zivilen Wachpersonals begleitet. Aber jeden Vormittag mussten auch zwei Kameraden mit dem Bully in die Heereskaserne in Dülmen fahren, um dort Essen für unsere Station zu holen. Leider war das Essen sehr deftig, weil eigentlich für die Heereskameraden gedacht, die hinterm Panzer herlaufen. Wir dagegen saßen meist auf Station oder fuhren im Bully umher, was eher weniger Kalorien verbraucht, so dass die meisten von uns in der Zeit etwas zugenommen haben. – Tja, hier also der fehlende Funkturm. Man sieht aber noch den Zaun und sogar die Vorfeldbeleuchtung, also die Scheinwerfer, mit der sich die ganze Station nachts rundum erhellen ließ, um potentielle Angreifer zu entdecken.

Immerhin haben sie eine der Richtfunkantennen als Andenken aufgestellt. Schön beschriftet. Genau, das waren wir: Fernmeldesektor 112, Station Seppenrade. Ich habe zuhause sogar noch irgendwo das Logo der Einheit.

Hier der Eingangsbereich. Das kleine Fenster links gehörte zum Wachbüro, wo tagsüber meist zwei, nachts ein ziviler Wachmann saß. Die Wachleute waren alle sehr nett; auch zu uns Wehrpflichtigen. Einen der Wachleute haben wir besonders ins Herz geschlossen, weil es so nett und auch sozial engagiert war. Er trainierte nämlich in seiner Freizeit eine Jugend-Fußballmanschaft mit türkischen, sozial benachteiligten Jungs. Dafür hatte er unseren Respekt. – Rechts vom Eingang, dieses kleine, niedrigere, braune “Häuschen” ist eine Art Schützenstand, von wo man Angreifer recht gut geschützt hätte beschießen können. Tja, so war das im ausklingenden kalten Krieg. Wurde zum Glück nie gebraucht.

In unserer ehemaligen Fahrzeug-Halle lagert die Gemeinde Seppenrade jetzt einige Buden, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. So, werden die alten Gebäude immerhin sinnvoll weiterverwendet.

Tja, dieser Besuch hat mir voll den Flashback verpasst. 29 Jahre her. Ich war Ende 19 / Anfang 20, als ich dort gedient habe. Vor ein paar Tagen bin ich auf Tour 49 Jahre alt geworden, d.h. ich bin heute fast 2,5-mal so alt wie damals. Krass. Und doch erinnere ich mich sehr lebhaft an so viele Dinge aus diesen 9 Monaten in Seppenrade. An den etwas muffligen, aber irgendwie auch gemütlichen Hauptfeldwebel, der Stationsleiter war und der uns manche Zusatzaufgaben aus der Zentrale in Münster vom Leib gehalten hat, weil er selbst keinen Bock drauf hatte. An den strengen Oberfeldwebel, der eher schon ein Vorzeige-Soldat sein wollte, und vermutlich selbst gerne Stationsleiter gewesen wäre. So jedesfalls meine damalige Vermutung. Er, der Oberfeldwebel und Berufssoldat wollte bei der Bundeswehr den LKW-Führerschein machen, aber bei der Routine-Gesundheitsuntersuchung ist er durchgefallen, so dass er nicht nur den LKW-Führerschein nicht machen durfte, sondern auch die Fahrerlaubnis für Bundeswehr-PKWs entzogen bekam, so dass er fortan unsere Bundeswehr-Bullys nicht mehr selbst fahren durfte und immer von einem von uns Wehrpflichtigen umherkutschiert werden musste. Tja, Pech gehabt. Wohlgemerkt konnte er natürlich gut Autofahren. Er kam ja auch jeden Tag mit dem privaten PKW zur Station, aber die Bundeswehr hat eben höhere Anforderungen. Dann sind da noch die Erinnerungen an die Doppelkopf-Partien, die der Stationsleiter nur sehr ungern verlor. Skat konnte ich schon, aber Doppelkopf habe ich erst dort gelernt… aber mittlerweile wieder vergessen, wie’s geht, weil seit 29 Jahren nicht mehr gespielt. Tja, und dann ist da noch die Episode, als ein Kamerad, der im zivilen Beruf Radio- & Fernsehtechniker war, beim Versuch, ein Kabel für Satelliten-TV ins Wachbüro zu verlegen, mit der Hilti [Bohrmaschine] ein Stromkabel der Vorfeld-Beleuchtung anbohrte (also draußen), was einen Kurzschluss auslöste und die komplette Station plötzlich stromlos war. Die Vermittlungsanlagen liefen noch eine gute Viertel Stunde auf Akku, aber dann mussten wir mit dem Bully zu einer Telefonzelle in Seppenrade fahren und in Münster per Telefon melden, dass die Station Seppenrade ausgefallen ist. Peinlich, aber irgendwie auch witzig. Eigentlich hätte der Kollege einen Orden verdient für’s zufällige Aufdecken einer Sicherheitslücke. Ich meine, wir hatten da einen atombombensicheren Bunker unter dem Gebäude, in dem die ganze Vermittlungstechnik stand, aber es reichte, mit einem relativ kleinen Bohrer ein bestimmtes Kabel anzubohren, um alles lahmzulegen. Naja, im Ernstfall hätte der Feind vermutlich den Funkturm angegriffen und so dann auch die Kommunikation gestört. – Ich glaube, die wichtigste Lektion für’s Leben, die ich bei der Bundeswehr gelernt habe, ist, dass ältere Kameraden/Kollegen, Vorgesetzte usw. letztlich auch nur Menschen sind. Natürlich sollte man vor denen schon Respekt haben, aber man muss keine Angst haben. Wir Wehrpflichtige wurden immer gut behandelt, bei allem mit einbezogen (z. B. beim Doppelkopfspielen, Feierlichkeiten usw.) und als ich eigentlich mal wieder Fahrer sein sollte, es mir aber gesundheitlich gerade nicht so gut ging, hat der ältere Kamerad ohne Probleme das Steuer selbst übernommen, obwohl es nicht seine Aufgabe war, so dass ich mich auf dem Beifahrersitz etwas erholen konnte. Da war dann wieder Kameradschaft und Für-einander-da-sein wichtiger, als den Vorgesetzten raushängen zu lassen. Das war für mich eine sehr wertvolle Lektion, die ich nicht missen möchte. Auch in den drei Monaten Grundausbildung in Hamburg-Harburg war die Kameradschaft auf unserer Stube hervorragend, obwohl wir vom Bildungsniveau, Beruf, sozialer Herkunft extrem unterschiedlich waren, aber all das war egal, weil wir wussten, dass wir das alle besser durchstehen, wenn wir zusammenhalten. So haben wir sogar unseren Kameraden Ingo G. (Name von der Redaktion nicht geändert), der immer sehr nervös wurde, wenn er eine Waffe in die Hand nehmen musste (ja, nicht die besten Voraussetzungen für einen Soldaten!) letztlich gut durch die Grundausbildung gebracht bzw. ihn immer wieder unterstützt und motiviert, durchzuhalten. Das sind positive Erfahrungen, die einen jungen Menschen prägen und ein Leben lang begleiten. Ich finde es schade, dass es das heutzutage nicht mehr gibt, weil die Wehrpflicht und damit auch soziale Ersatzdienste aktuell ausgesetzt sind. Natürlich fand ich es damals doof, ein ganzes Jahr zur Bundeswehr zu müssen, statt direkt mit dem Studium zu beginnen, aber ich glaube, dass ein solcher Zwangsdienst für die Gesellschaft durchaus positive Effekte auf junge Menschen haben kann. Auch, wenn natürlich nicht alles toll war und man manchmal auch einfach nur Zeit totgeschlagen hat, würde ich im Nachhinein sagen, dass die Zeit als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr mir persönlich wohl mehr genutzt als geschadet hat. Und die Uniformen der Luftwaffe, besonders die Ausgehuniform, waren schon auch irgendwie schick. 😉

Tja, und jetzt ein ganz anderes Thema:

Auf der Tour habe ich in letzter Zeit an und in Wäldern öfters mal die folgenden Warnschilder gesehen. Auf anderen Schildern stand noch “Allergiegefahr” o.ä. dabei. Krass, dass die extra Schilder aufstellen, um vor dem Kontakt mit den Raupen bzw. deren giftigen Brennhaaren zu warnen.

Und nun neigt sich die Tour dem Ende entgegen. Dies ist höchstwahrscheinlich der letzte Aufenthalt auf einem Campingplatz bei dieser Tour, da ich morgen hoffentlich bis zu meinem Elternhaus in Mönchengladbach komme und dann dort übernachten kann. Der Campingplatz heute ist mal wieder klasse. Nur 12,- €, also eigentlich sogar nur 10,- €, aber die Duschmarke kostet 2,- €. Keine Extrakosten für das bisschen Strom, das ich brauche. Mein Zelt konnte ich zwischen Sanitärhaus (schön, neu, sauber) im Hintergrund und dem Stromkasten vorne aufbauen. Und Wasserhähne gibt es auch noch, so dass ich da morgen früh noch ganz einfach meine Trinkblase auffüllen kann. Was will man mehr.

Mittlerweile haben sich noch mindestens ein Wohnwagen und ein Wohnmobil dazugesellt, aber stört nicht. Ruhige Nachbarn.

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Stefan Leupers ist verheiratet und hat zwei Töchter. Seinen ersten Computer bekam er 1984 mit 11 Jahren. Er studierte Diplom-Informatik an der RWTH Aachen und beschäftigt sich seit 1993 mit Linux. Zu seinen Interessentgebieten zählen seit dem Studium Kommunikationssysteme sowie seit 2013 auch Heimautomation; insbesondere FHEM. Seit 2016 fährt er Liegedreirad und seit 2018 Elektroauto. Die Elektroautos werden - zumindest von Frühling bis Herbst - vorwiegend mit selbst erzeugtem PV-Strom vom eigenen Dach geladen.