Seit einigen Jahren geistert bei mir im Hinterkopf die Idee herum, mal eine Tour von Nord nach Süd quer durch Deutschland zu machen.

Vermutlich hat sich diese Idee unter­schwellig durch die beiden folgenden, sehr lesenswerten Büchern entwickelt, die ich dringend zur Lektüre empfehlen möchte.

Den tatsächlichen Schubs habe ich aber durch den Poetry Slam “One Day / Reckoning Song” von Julia Engelmann bekommen, welcher irgendwie genial einfach, aber mit einer großen Kraft daher kommt. Hier ein kurzer Text­ausschnitt, aber schaut Euch unbedingt das YouTube-Video komplett an. Es lohnt sich!

Eines Tages, Baby, werden wir alt sein,
oh Baby, werden wir alt sein,
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
[…]
Ich denke zu viel nach,
ich warte zu viel ab,
ich nehm mir zu viel vor und
ich mach davon zu wenig
[…]
ich würd gern so vieles tun,
meine Liste ist so lang,
aber ich werd eh nie alles schaffen,
also fang ich gar nicht an.
[…]
Eines Tages, Baby, werden wir alt sein,
oh Baby, werden wir alt sein,
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
und die Geschichten, die wir dann statt dessen erzählen,
werden traurige Konjunktive sein, wie…
einmal bin ich fast einen Marathon gelaufen
und hätte fast die Buddenbrocks gelesen …
[…]
Und das wir bloß faul und feige waren,
das werden wir verschweigen,
und uns heimlich wünschen,
noch ein bisschen hier zu bleiben.

Wenn wir dann alt sind – und unsere Tage knapp –
und das wird sowieso passiern´,
dann erst werden wir kapiern´,
wir hatten nie was zu verliern´.

Das Leben, dass wir führen wollen, das können wir selber wählen.
Also, los, schreiben wir Geschichten, die wir später gern erzählen.

Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein,
oh Baby, werden wir alt sein,
Und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.

Ich kannte das Stück schon einige Jahre, aber als ich es zufällig Anfang 2016 wieder entdeckt und nochmal gesehen habe, wusste ich plötzlich, was ich zu tun habe. 🙂

Die Grundidee, die in meinem Kopf spukte, war ja eine Deutschland-Durchquerung von Nord nach Süd. Also fing ich an, darüber nachzudenken, wie man das Vorhaben anpacken könnte, was ich dafür tun muss.

Deutschland-Tour "Flensburg - Oberstdorf" (Luftlinie)
Deutschland-Tour “Flensburg – Oberstdorf” Luftlinie
[modifizierte “Deutschland Übersichtskarte” / Lizenz: CC BY-SA 3.0 /
Urheber: Wikipedia, User “Lencer” und “NordNordWest“]

Zunächst mal geht es um die Strecke und die Fort­bewegungs­art. Die nördlichste Stadt Deutsch­lands ist Flens­burg und die südlichste ist Oberst­dorf. Damit stehen Start und Ziel schon mal fest. Natürlich möchte ich die Strecke komplett aus eigener Kraft zurück­legen, d.h. ohne Motor und fremde Hilfe. Da die Strecke sogar länger wäre als die von Joey Kelly, ich aber wg. Familie und Job nicht monate­lang dafür brauchen kann und außer­dem auf langen Strecken nicht sooo wahn­sinnig gut zu Fuß bin, scheidet wandern (oder gar joggen) aus. Bleibt also eigentlich nur das Fahrrad.
Später habe ich ge­lesen, dass es auch Leute gibt, die Touren durch Deutsch­land auf Inlinern, mit Kajaks oder ähnlichem absolviert haben, aber das ist alles nicht so mein Ding.

Also fing ich sofort im Januar zuhause auf dem Heim­trainer mit dem Rad-Training an, um fit zu werden. Etwas später arbeitete ich mir eine Route von zuhause bis zu meiner Arbeits­stelle im Norden von Aachen aus und testete Hin- und Rückweg an einem Samstag auf seine Tauglich­keit. Eine Strecke liegt bei etwas über 16 km und ist in ca. 1 h gut zu bewältigen; also gut 32 km und 2 h insgesamt pro Tag. Eigentlich ganz gut machbar, allerdings hatte ich sehr schnell wieder die üblichen Probleme auf dem Rad:

  1. Hände: Trotz guter Radhandschuhe mit Gelpolster schmerzen die Stellen, mit denen ich mich auf dem Lenker abstütze, immer recht schnell und/oder es stellt sich ein Taubheits­gefühl ein, weil die Blutzufuhr abgeklemmt und/oder die Nerven gereizt werden. 🙁
  2. Po: Druckstellen am Hintern machen längere Touren für mich ebenso zur Qual.

Hmm, erst mal keine allzu guten Voraussetzungen für eine tage-/wochenlange Radtour. 🙁

Ich hatte die leise Hoffnung, dass es etwas besser würde, wenn ich mein vorhandenes Trecking­rad für die Tour noch etwas tune (neue Griffe, neuer Sattel), vielleicht noch etwas an meiner Körper­haltung arbeite und mehr trainiere…

… aber als ich darüber mit einem Kollegen sprach, von dem ich wusste, dass er jahrelang täglich ca. 35 km mit dem Rad zur Arbeit und abends den gleichen Weg wieder zurück gefahren ist, eröffnete sich eine viel bessere Lösung.

Der Kollege ist die ca. 70 km täglich nämlich meist mit seinem (zweirädrigen) Liegerad gefahren. Da Liegeräder nämlich keinen Sattel haben, sondern einen komfortablen Sitz, in dem man halb liegt, gibt es prinzip­bedingt keine Probleme mehr mit dem Hintern und auch keine mit den Händen. Die Sitz­fläche ist wesentlich größer ist als bei einem schmalen Sattel und man stützt sich auch nicht mehr auf dem Lenker ab, sondern hält diesen nur locker fest.

Also habe ich angefangen, mich mit Liege­rädern zu beschäftigen. Insbesondere bin ich mal das zwei-rädrige Liegerad meines Kollegen und beim Steintrike Center Niederrhein in Heinsberg-Unterbruch ein drei-rädriges Liegerad, das “Wild One” des österreichischen Herstellers Bike Revolution, gefahren.

Zwar ist ein zwei-rädriges Liegerad leichter und damit wäre man sicher etwas schneller und agiler unterwegs, aber ich suche ja ein bequemes und sicheres Rad für gemütliches Cruisen auf langen Touren. Daher war ich sofort von dem drei-rädrigen Liegerad begeistert, weil man damit immer eine sichere Straßenlage hat und es – auch voll beladen – nicht umkippt. Sehr praktisch ist beim Liege-Dreirad auch, dass man bei einem Halt – z. B. an einer Ampel – die Fahrradschuhe nicht ausklicken muss. (Klickpedale bin ich vorher noch nie gefahren, möchte sie jedoch beim Liegedreirad nicht mehr missen. => Dringende Empfehlung, um Abrutschen durch Nässe und/oder müde Beine zu verhindern!)

Nun ja, nach einer ersten kurzen 15 km Probefahrt durch Heinsberg im Januar (zusammen mit Jörg vom Steintrike Center sowie meinem Kollegen und meinem Schwiegervater), habe ich zusammen mit meinem Schwiegervater im Februar dann eine 73 km lange Probefahrt gemacht, was problemlos geklappt hat. Das ist eine Streckenlänge, die ich mit einem normalen Aufrecht-Zweirad zwar auch noch so gerade geschafft hätte, jedoch wohl nur mit großem Stöhnen über Probleme mit Händen und Hintern. Aber mit dem Liegerad gab es diese Probleme eben gar nicht. Super!

Zugegebenermaßen hatte ich anschließend allerdings einige Tage ziemliche Knie­probleme. Zum einen lag das wohl daran, dass der Kurbel­ausleger nicht ganz die richtige Länge für meine Körpergröße hatte, aber meine Kniee mussten sich schon auch ein bisschen an die ungewohnte Bein­haltung gewöhnen. Dafür waren 73 km als erste Tour dann wohl doch etwas zu viel. 😉
=> Tipp: Fangt mit kurzen Strecken an und steigert Euch langsam.

Es war also klar! So ein Liegerad muss ich haben, damit ich die Deutschland­tour gut überstehe und Freude dabei habe.

Liegedreiräder sind keine billige Massenware, sondern werden individuell angefertigt. Das macht sie leider recht teuer und bringt auch eine Lieferzeit von z. T. Monaten mit sich. Daher war ich sehr froh, das Vorführ­rad, welches ich ja schon von den Probe­fahrten kannte, etwas vergünstig und recht kurzfristig übernehmen zu können. Am 28. Februar war es dann endlich soweit: Ich konnte das Rad auf der Fahrrad­messe in Essen abholen.

Stefan auf Ligedreirad
(c) by Stefan & Tina Leupers

Nachtrag (Mai 2016):
Ab März fahre ich jetzt zu Trainings­zwecken regelmäßig an drei von fünf Tagen mit dem Fahrrad zur Arbeit (ca. 32 km); egal, ob bei 20 °C und Sonne (bevorzugt!) oder 2 °C und Schneeregen (geht mit der richtigen Kleidung problemlos, ohne dass einem kalt wird). Dazu gelegentlich – d.h. wenn die Familie mich am Wochenende entbehren kann – noch Touren von 40, 60, zweimal schon um die 100 und einmal sogar 150 km! – Noch vor wenigen Monaten hätte ich nicht geglaubt, dass ich in der Lage wäre auf einem Fahrrad 150 km an einem Tag zu fahren, aber mit etwas Training und auf meinem Liegedreirad ist das überhaupt kein Problem mehr.

Natürlich sind 150 km anstrengend und nicht jedes Wetter macht gleich viel Spaß, aber so grundsätzlich stellt sich eigentlich immer sofort ein Dauergrinsen ein, wenn ich auf meinem Liegedreirad sitze. 🙂 🙂 🙂