Montag, 19.09.2016:

Wecker heute ausnahmsweise mal auf 7:30 Uhr gestellt, weil die Fahrradläden eh nicht so früh aufmachen. Im Frühstücksraum des Hotels “St. Raphael im Allgäu” wieder mal Brötchen für die Fahrt geschmiert und eingepackt und ansonsten nicht viel gegessen, aber O-Saft getrunken. Lecker. Da das Zimmer bis spätestens 11 Uhr geräumt sein muss und ich nicht genau weiß, wie lange die Reparatur braucht, habe ich sicherheitshalber schon mal alles gepackt und ausgecheckt. Meine ganzen Taschen konnte ich im Hotel lassen. Ich habe nur den Liegerad-Rucksack aufs Rad geschnallt, um ein paar Dinge mitnehmen zu können. Um 9:15 Uhr fuhr ich dann zum nächstgelegenen Fahrradladen, der so früh auch schon auf hat. Der Fahrradladen, der meine erste Wahl gewesen wäre, macht nämlich leider erst um 10 Uhr auf. Für mich zu spät. Der Besitzer des Ladens “Zweirad Süssner” machte zwar einen eher missmutigen Eindruck. So, als ob er keine große Lust habe, mein Rad zu reparieren, aber er hat es trotzdem gemacht und alles wieder hinbekommen. Das Hinterrad hat jetzt 4 neue Speichen und keine Acht mehr. Er äußerte sich allerdings etwas skeptisch, ob das besonders lange hält, weil er einige der Speichen wohl schon sehr stark anziehen musste, um die gewaltige Acht aus dem Rad rauszukriegen. Möglicherweise hat sich die ganze Felge etwas verzogen. Er empfahl jedenfalls, die später nochmal komplett neu einzuspeichen oder evtl. sogar eine neue Felge in Betracht zu ziehen. Naja, mal sehen… Hauptsache ich komme jetzt erst mal nach Oberstdorf und in ein paar Tagen wieder zurück nach Kempten, um von da aus mit dem Rad im Mietwagen zurück nach Hause zu fahren. Ach ja, ich hatte gestern übrigens völlig vergessen zu erwähnen, dass schon vor der kapitalen Speichen-/Reifenpanne der rechte Schaltzug (für die 9-fach-Schaltung hinten) anfing, sich aufzulösen; d.h. 3 der kleinen verzwirbelten Drähte des Schaltzuges waren schon gerissen, aber die überwiegende Mehrheit hielt zum Glück noch. Da ich ja gestern den festen Plan hatte, in Oberstdorf anzukommen, konnte bzw. wollte ich mir keine Reparaturverzögerung leisten, und hoffte, dass das noch bis Oberstdorf hält. Ich bin daher gestern sicherheitshalber etwas schaltfauler gefahren, um den Schaltzug etwas zu schonen. Ich hatte sogar zwei Ersatz-Schalt-/Bremszüge dabei, die ich dann in Oberstdorf (oder vielleicht auch erst zuhause) eingebaut hätte. Da aber eh alles anders kam und ich sowieso in die Werkstatt musste, habe ich den Schaltzug ebenfalls dort austauschen lassen. Geht einfach schneller, wenn die es machen. Die haben mehr Routine und das bessere Werkzeug griffbereit. Nach etwas mehr als einer Stunde Arbeit war alles fertig, das Rad wieder in gutem Zustand und die Reparatur bezahlt (38,- €). Hinzu kam noch ein Ersatzschlauch, da ja einer komplett hinüber war. Leider hatten sie keinen Ersatz-Faltreifen in 20 Zoll da, so dass ich die letzten Kilometer ohne Reservereifen auskommen muss… aber das wäre schon wirklich seeehr großes Pech, wenn ich auf den wenigen Restkilometern noch einen zweiten Reservereifen benötigen sollte. Wird schon schiefgehen…

Um 11 Uhr war dann also das Rad fertig. Dann schnell zurück zum Hotel, alle Taschen und Beutel etc. wieder auf dem Rad verzurren und erst mal ein Brötchen auf der Bank vor dem Hotel “früh”stücken. Die Bank ist wohl primär für Raucher gedacht, aber zum Glück kam gerade kein Raucher.

Richtig aufgebrochen Richtung Oberstdorf bin ich dann um 11:45 Uhr, was noch OK war, denn ich wollte bis 12 Uhr weg sein, um noch rechtzeitig in Oberstdorf anzukommen. Die aktuelle Höhe bei Abfahrt in Kempten war 700 m ü. NN.

Zunächst ging es wieder nach Google Maps Fahrrad-Navigation aus Kempten raus. Das hat aber mit reinen Ansagen über Kopfhörer – d.h. ohne die Route vor Augen zu haben – diesmal nur bedingt funktioniert, weil Radwege an Straßen leider öfter mal Haken schlagen und Google dann ansagt “Links abbiegen”, obwohl es eigentlich geradeaus bzw. sogar leicht rechts meint. Ich musste immer mal wieder anhalten, das Handy in die Hand nehmen und die Route checken, weil die Anweisung nicht zu den Richtungsangaben auf den Schildern passten. Besser wurde es erst, als ich weiter aus der Stadt rauskam und es keine abgetrennten Radwege mehr gab. 😉 Meine Taktik war, zunächst weiterhin eher auf Google und Straßen zu vertrauen als auf den Track vom Illerradweg, aber einerseits waren die Ansagen teilweise weiterhin kurios und andererseits führten die Straßen jetzt immer häufiger auf und ab an den Hängen neben der Iller. Daher beschloss ich dem Illerradweg eine zweite Chance zu geben. Genau in dem Moment, wo ich auf meine Route und damit den Illerradweg einbiegen wollte, entdeckte ich jedoch das folgende Schild:

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Ja, nee, is klar… ok, dann also zweite Chance vertagt und erst mal der Umleitung folgen. Irgendwann gab es ein Umleitungsschild, das auf den Illerradweg zurückführen sollte, aber dieser Umleitungsweg bestand wieder nur aus 2 Schotterspuren und hohem Gras in der Mitte. Vielen Dank, ich bleibe dann mal weiter auf der Straße. *seufz* Etwas später gab es dann aber nur noch die Entscheidung zwischen richtig steil die Straße rauf und einen recht großen Umweg fahren oder auf den Ilerradweg zurück. Hier nun bekam der Illerradweg endlich seine zweite Chance. Und siehe da, es war nicht mehr so schlimm wie zwischen Neu-Ulm und Memmingen, d.h. so gut wie kein Gras in der Mitte, aber es blieb leider bei einem reinen Schotterweg. Manchmal war der Schotter recht lose und unangenehm, aber meist ausreichend fest, um mit einigermaßen erträglicher Geschwindigkeit voranzukommen. Immerhin ging es ja weiter den Fluss aufwärts und die Steigung schien auch ein bisschen anzuziehen, aber dennoch bleiben Flusssteigungen natürlich i.d.R. einigermaßen moderat.

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Ich bin also immer noch nicht begeistert von diesem Radweg, aber er ist – auch mit dem Liegedreirad – größtenteils erträglich geworden, so dass ich beschloss, auf dem Illerradweg zu bleiben und nicht wieder zurück auf die Straßen zu fahren. Das “Radelvergnügen” ist aber nicht so groß, wie auf den Schildern angekündigt.

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So kamen die hohen Berge immer näher… und um 16:30 Uhr bin ich auf 813 m ü. NN in Oberstdorf angekommen! HALLELUJA!!! Ich bin tatsächlich am Ziel. Mission “Nord-Süd-Durchquerung Deutschland”, meine kleine Abenteuerreise von Flensburg bis Oberstdorf, habe ich nach 17 Tagen Fahrt erfolgreich per Liegedreirad mit eigener Muskelkraft bewältigt! Hier das Beweisfoto:

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Ehrlich gesagt kann es es selbst noch gar nicht so richtig fassen! Irgendwie kommt es mir einerseits so vor, als ob ich gerade erst in Flensburg gestartet wäre und ich daher noch gar nicht am Ziel sein kann, denn die Zeit ist für mich so wahnsinnig schnell vorbeigegangen. Es gab ja keine Verschnaufpausen oder gar Langeweile. Jede Minute des Tages war vollgepackt mit Aktivität. Dazu noch 6 – 7 Stunden Schlaf, das musste reichen. Andererseits sind Flensburg und der Anfang der Tour gefühlt aber auch schon ewig lang her, weil es seither so unglaubliche viele Eindrücke, Erlebnisse, Höhen und Tiefen (gefühlsmäßig und in Höhenmetern), interessante Bekanntschaften usw. gab, dass es mir vorkommt. als sei ich schon ein Jahr unterwegs. Diese Intensität und Menge an Eindrücken lässt sich – glaube ich – im “normalen” Leben oder in “normalen” Urlauben nicht erreichen. Es war also genau der Abenteuer-Urlaub, der Selbsterfahrungstrip, den ich mir gewünscht hatte, auch, wenn ich vorher natürlich nicht wusste, was da wirklich genau auf mich zukommt. Zwar hatte ich die Reise so gut es geht geplant, denn die Route stand fest und eine Liste der Campingplätze und Jugendherbergen entlang der Route hatte ich mir auch erstellt, aber es gab eben vorher keine feste Tagesplanung. Die hat sich dann eben immer spontan ergeben, je nachdem was so passierte. Mal gab es keine Unterkünfte und es musste eine besonders lange Etappe werden, mal wurde die Wäsche nur langsam trocken oder das Rad wollte nicht mehr und es wurde eine kurze Etappe, mal spielte das Wetter nicht mit und statt Camping bin ich auf Jugendherberge oder Gästehaus umgeschwenkt. Wobei ich sagen muss, dass das Zelten auf Campingplätzen (bei gutem Wetter) immer am meisten Spaß gemacht hat. Fahrradfahren und Zelten passt einfach sehr gut zusammen, denn wenn man schon den ganzen Tag an der frischen Luft ist, warum dann nicht auch nachts. Klar, in den festen Unterkünften hat man einigen Luxus mehr, aber für mich passt das naturverbundene Radfahren besser mit dem naturverbundenen Zelten zusammen. Einmal habe ich ja notgedrungen auch im Regen gezeltet. Das geht natürlich auch, macht aber weniger Spaß.

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Bergbauern Pension Eltrich im Herzen von Oberstdorf.

In Oberstdorf bin ich dann zur Touristen-Info und habe nach einer günstigen Unterkunft für zwei Nächte gefragt. Sie haben mir dann drei ausgedruckt und ich habe einfach das günstigste genommen. Ein einfaches kleines Zimmer mit Waschbecken und Dusche, aber Etagen-WC, in einem alten Bauernhaus direkt im Zentrum von Oberstdorf, so dass Restaurants, Geschäfte und sogar die Thermen in Laufreichweite sind. Praktisch. Die etwas spartanische Einrichtung des Bauernhauses kommt dem Abenteuer-Charakter des Trips schon wieder etwas näher als das Luxus-Zimmer mit TV, WLAN und Spitzenbad gestern in Kempten. Das Hotel war echt toll, aber irgendwie “too much”. In dem schon fast edlen Ambiente (obwohl es ja gar nicht mal soo teuer war) fühlte ich mich mit meinen Radfahr-/Treckingklamotten auch irgendwie fehl am Platze. – Nachdem das Zimmer in Oberstdorf bezogen hatte und ich geduscht war, ging es erstmal kurz zum Einkaufen (ein bisschen was zum Naschen: Kekse, Haribo & Co.), weil meine Vorräte aufgebraucht waren.

p1020229Anschließend habe ich im Zentrum nach einem Restaurant gesucht. Die außen aushängenden Karten versprachen allerlei Köstlichkeiten, aber ich konnte mich noch nicht so recht entscheiden. Dann aber entdeckte ich ein Restaurant, dass doch tatsächlich ein echtes Wiener Schnitzel, d.h. mit Kalbfleisch, auf der Speisekarte hat. Dazu muss man wissen, dass die meisten Restaurants leider nur Schweineschnitzel als “Wiener Art” anbieten, weil es billiger ist. Ein echtes Kalbschnitzel ist natürlich etwas teuerer, schmeckt – gut gemacht – aber auch um Welten besser; finde ich. Daher war klar, dass ich heute in der “Oberstdorfer Einkehr” essen werde. Da der Laden recht voll war, fragte man mich, ob es mir recht sei, wenn man mich an einen Tisch mit dazu setzt. Ja, kein Problem. Am Tisch saßen bereits ein älters Ehepaar aus dem Ländle, das bereits das Essen vor sich hatte, und ein noch älterer Herr aus Hessen(?), der wohl schon gegessen hatte und nicht dazu gehörte. Wir haben uns alle gut unterhalten und natürlich habe ich einiges von meiner Reise erzählt. – Das Essen: Zunächst wurde etwas Brot mit Kräuterquark gereicht, dann kam ein sehr leckerer kleiner Salat und schließlich das Wiener Schnitzel. Hauchdünn geschnitten (wie es sein muss!), lecker paniert und damit man satt wird, gleich zwei große Stücke; dazu Pommes und ein Radler. Ich bin ja kein großer Gourmet, aber das war echt lecker. Die Bedienung war auch noch sehr freundlich und das Essen kam – trotz vollem Lokal – recht schnell. Super! => Absolute Empfehlung!

Bevor ich’s vergesse: Der Gesamtkilometerstand der Tour beträgt jetzt 1440 km!
Am Mittwoch kommen nochmal fast 50 km für die Rückfahrt nach Kempten hinzu, so dass es insgesamt also knapp 1.500 km sein werden. Nicht schlecht, was!? 😉

Fazit:
Auch wenn die Aufgabe – hier: eine über zwei Wochen lange Reise allein mit dem Rad über mehr als 1.400 km quer durch Deutschland – noch so groß klingt, vor allem, wenn man sowas vorher noch nie gemacht hat… eigentlich ist alles ganz einfach. Alles ergibt sich… man macht am Anfang Fehler aus Unerfahrenheit, aber daraus lernt man, und man gewöhnt sich sehr schnell an die neuen Herausforderungen im Tourenradlerleben und meistert sie. Es geht immer irgendwie weiter…

Um es nochmal mit Julia Engelmann zu sagen: Ich bin stolz, dass es in meinem Leben einen traurigen Konjunktiv weniger gibt! Ich werde meinen Enkeln (ich hoffe doch, ich werde mal welche haben) erzählen können, dass ich mit dem Rad einmal von Nord nach Süd durch Deutschland geradelt bin und dass es ein unvergessliches Erlebnis war.

Lebt Eure Träume! Schiebt nicht immer alles auf! Traut Euch und macht aus Konjunktiven Realitäten. Schreibt Eure eigene Geschichte!
Dabei wünsche ich viel Erfolg und Spaß!

Und das Wichtigste zum Schluss:
DANKE! Ich möchte Danke sagen… meiner lieben Frau, weil sie mich – nach kurzer anfänglicher Ablehnung – dann doch hat fahren lassen und zuhause die Stellung hält… meinen Kindern Julia und Sophie, meiner Mutter und meinen Schwiegereltern für die moralische Unterstützung… meinem Chef Pascal/meiner Firma, die mir erlaubt haben, (unbezahlten) Urlaub für die Reise zu nehmen… meinem Kollegen Cölestin für den Schubs Richtung Liege(drei)rad und die vielen anderen guten Tipps… dem unbekannten Karlsruher Pärchen für den Fahrradtransport in ihrem Wohnmobil im Regen… allen Menschen, die ich unterwegs getroffen habe, für die netten Gespräche und/oder die Gastfreundschaft… allen Bloglesern und Kommentatoren (habe mich sehr über Euer Feedback gefreut)… und alle, die mich auf andere Weise unterstützt haben, die ich jetzt aber vergessen habe. Sorry, keine böse Absicht. 😉

Und wie üblich noch der Track:
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PS: Es werden jetzt voraussichtlich keine täglichen Berichte mehr kommen, aber zumindest 1 – 2 Blogs mit “Nachberichterstattung” und Lustigem von der Fahrt sind noch geplant, also schaut hin und wieder mal rein. Danke.